Facebook ist nicht das Internet

Über 10.000 Likes und Tweets haben gestern auf den Aufschrei des Radiomoderators Domian hingewiesen, der sich von Facebook zensiert gefühlt hat. Allein 82 Prozent der Artikel zum Thema in den Onlinemedien wurden über Facebook geteilt – und genau das beschreibt ziemlich exakt das Dilemma.

Gesellschaftliche Debatten werden natürlich auch heute noch an Stammtischen und Gemeindeplätzen geführt. Aber es schaffen aktuell eher jene Diskussionen ihren Weg in die Nachrichten, die sich in sozialen Netzwerken extrem stark verbreiten. Viral heißt das Zauberwort. Und Nachrichtenmedien wollen Kompetenz beweisen – sie können das mit den sozialen Netzwerken.

Beispiel Domian
Die Geschichte um die Zensurvorwürfe von Domian sind im Kern schnell erzählt. Ein Radiomoderator schreibt auf Facebook etwas über den Papst. Facebook löscht das Posting. Domian wittert Zensur – und schreibt darüber bei Facebook. Abertausende seine Befürchtungen. Facebook sich. Punkt. Oder eben nicht.

Denn die mediale Erregung hätte kaum größer sein können. Das Thema trifft einen Nerv. Aber nicht den Nagel auf den Kopf. Es geht nicht um Zensur bei Facebook. Es geht darum, wo gesellschaftliche Debatten geführt werden. Nutzer müssen sich die Frage stellen, zu welchem Preis sie sich in diese “geschlossene Gesellschaft” begeben. Zum Preis ihrer Daten? Ja, so viel steht fest. Zum Preis der freien Meinungsäußerung? Das ist vielen neu – aber auch genauso wahr.

Stichwort Hausrecht
Natürlich hat Facebook das Recht, Beiträge zu löschen. Ob die Mechanismen, die dabei greifen, gut oder schlecht sind, ist erstmal egal. Das soziale Netzwerk mit dem Wohlfühl-Blau ist ein privates Unternehmen und sie dürfen tun und lassen, was sie wollen, denn: Facebook ist nicht das Internet, Facebook ist ein auf Rendite abzielender Konzern “Sozial daran ist lediglich der Präfix vor dem Netzwerk”, schreibt Christian Jakubetz, Blogger und Journalist, treffend.

Facebook ist auch weder am Weltfrieden, noch an der Förderung der Demokratie in Nordafrika interessiert. Stichwort Zensur: Wenn Facebook ein Posting löscht, dann ist das für den einzelnen vielleicht bedauerlich, aber noch lange keine Zensur. Zensur ist ein von staatlicher Seite unter Strafandrohung verhängtes Verbot, bestimmte Ansichten und Meinungen öffentlich zu äußern, erinnert Antje Schrupp, die sich häufig mit Fragen der Netzkultur auseinandersetzt, korrekterweise.

Facebooken heißt nicht im Internet kommunizieren
Eine Zensur findet aber in Deutschland nicht statt – Artikel 5 Grundgesetz lässt grüßen. Facebook ist also nicht das Internet und auch nicht staatseigen. Sondern – und ja, ich wiederhole mich, ein Milliarden-Dollar-Unternehmen. Das sollte jedem Nutzer klar sein. Wer Facebooken mit dem Kommunizieren im Internet gleichsetzt, es also als Infrastruktur begreift, der ist dem größten Marketing-Coups aufgesessen, den die Welt je erlebt hat.

Der smarte Erfinder von Facebook, Mark Zuckerberg, wollte sich jedenfalls bereits zu Zeiten des Arabischen Frühlings nicht mit den Blumen schmücken, sein Netzwerk habe an der Revolte einen entscheidenden Anteil gehabt. Wohlmöglich #ausgruenden, wie es bei Twitter so schön heißt.

Die Nutzer gehen mit den sozialen Netzwerken einen Deal ein, wie auch PR-Beraterin Kerstin Hoffmann schreibt. Sie können über die Netzwerke sich mit Freunden austauschen und theoretisch eine schier unbegrenzte Reichweite erzielen. Dafür bezahlen sie mit ihren Daten. Das ist das Geschäft, das jeder mit sozialen Netzwerken abschließt, sobald er sich registriert.

Was aber sind die Alternativen?
Unlängst hat Johnny Haeusler in einem vielbeachtetenen Blogpost dazu aufgefordert, sich das Web zurückzuholen. Haeusler argumentiert in seinem Artikel, dass alle Diskussionen und Inhalte, die ehemals im öffentlichen Raum stattfanden, heute in abgeschlossenen Räumen ihren Platz finden. Das müsse sich wieder ändern. “Wir posten längere Artikel bei G+ und können nur hoffen, dass Google den Dienst nicht irgendwann genauso einstellt wie viele andere Dienste zuvor. Und wenn wir das tolle Video suchen, das neulich jemand auf Facebook geteilt hat, dann sind wir aufgeschmissen, sobald die Facebook-Timeline es verschluckt hat.”

Eine einfache Möglichkeit – auf Kosten der Reichweite – wäre es, selbst ein Blog aufzusetzen, um einen sicheren Hafen für die eigenen Gedanken und Meinungen zu haben. Nicht umsonst kamen mit Blick auf Domian direkt die Hinweise im Netz, er könne doch das ganze Internet vollschreiben und sei nicht auf Facebook angewiesen. Einer der bekanntesten amerikanischen Star-Blogger, Anil Dash, geht einen Schritt weiter und plädiert dafür, sich von den sozialen Netzwerken ab- und wieder offenen Plattformen zuzuwenden. Er hofft dabei auf eine neue Generation Unternehmer. Vielleicht würde es aber auch schon reichen, wenn Zeitungen und Fernsehsender in Zukunft dazu aufrufen, sich mit den Nachbarn und Freunden über ein Thema zu unterhalten und es nicht heißt: Diskutieren Sie mit uns auf Facebook!

Dieser Artikel ist im Original auf heute.de erschienen.

Hi, mein Name ist Martin Giesler. Ich bin Nachrichten-Redakteur beim ZDF in der Redaktion von heute.de. Hier auf 120sekunden.com blogge ich über Medien und alles, was mich sonst so interessiert || Meinen Newsletter mit den besten Links der Woche kann man hier abonnieren.